Urbane Kunst: Formen der Street Art Derk Hoberg (alle Bilder)
  • 05. Mai 2017
  • Redaktion
Geschichte der Street Art

Urbane Kunst: Formen der Street Art

Urban Art, Street Art, Graffiti, jeder hat schon einmal davon gehört. Aber was bedeuten diese Begriffe genau und was ist deren Geschichte? In München klärt Ausstellung „Magic City - Die Kunst der Straße“ derzeit über alle Fassetten dieser urbanen Kunstform auf. Hier erklären wir die wichtigsten Bezeichnungen und Hintergründe.

Urban Art ist der Überbegriff und umfasst jegliche legale oder illegale Kunst im städtischen Raum. Dazu gehören Denkmäler, Skulpturen und künstlerisch gestaltete Hausfassaden genauso wie Street Art, Graffiti und Straßenmalerei.

Kunst im öffentlichen Raum bezeichnet eigentlich staatlich finanzierte Denkmäler „unsterblicher“ Persönlichkeiten und kommerziell subventionierte Skulpturen, aber mittlerweile werden auch Urban-Art-Murals und Interventionen in Auftrag gegeben. Diese neue, moderne Form verändert das Erscheinungsbild unserer Städte.

Street Art ist eine Kunst in ständiger Bewegung und umfasst ein großes Spektrum an Genres. Ziel ist es, neben der Verschönerung des Stadtbilds, aktiv öffentliche Debatten zu befördern. Murals, Interventionen, Stencils, Paste-ups und Aufkleber sind Formen dieser illegalen, vergänglichen und oft ortsspezifischen Werke.

Die heutige Street Art entstand in den späten 1960ern und 70ern, als konzeptuelle, politische, Landschafts- und Performance-Künstler von Graffiti inspiriert ihre Arbeit auf die Straße verlagerten, um Öffentlichkeit zu generieren. In den 1980ern wurde sie populär, breitete sich in den 1990ern rasant aus und explodierte förmlich in den Nullerjahren.

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Leider inzwischen überpinselt: Eduardo Kobras berühmtes Werk in New York: The Kiss

Die Stadt als Spielplatz

Street-Art-Künstler kreieren einen Spielplatz für wachsame Augen. Durch unerwartete, spielerische, ironische und rebellische Interventionen, Installationen und Guerilla-Aktionen reißen sie uns in einem kalkulierten Moment der Überraschung aus den Banalitäten des Alltags, rütteln uns aus der Lethargie urbaner Gleichförmigkeit und lockern die Zügel der Gentrifizierung. Humor ist der Schlüssel zum Erfolg: Sie bringen uns zum Lachen wie zum Grübeln, hindern uns daran, in Apathie zu verfallen.

kreuzStreet Art und Aktivismus

Street Art ist per se eine Form des Aktivismus. Mit illegaler Kunst gehen die Macher in die Öffentlichkeit und regen soziale, kulturelle und politische Diskussionen an. Sie wollen protestieren, zum Nachdenken anspornen, Fragen aufwerfen, Enthüllungen lancieren, sich zur Wehr setzen, Störfälle auslösen, den öffentlichen Raum zurückerobern und ihn demokratisieren. (Im Bild rechts: Ein Pictogramm des kolumbianischen Künstlers DJ LU)

Stellungnahmen gegen Krieg, Kapitalismus, Konsum und Gentrifzierung sowie für Umweltschutz sind immer häufiger zu finden. Die Künstler hinterfragen die herrschenden gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Mächte – Staat, Großkonzerne, Werbeindustrie, Medien – und thematisieren Kräfteverhältnisse, soziale Ungerechtigkeiten und fragwürdige Praktiken. Das alles findet seinen Ausdruck in Form von Satire, Kritik, aktivistischen Interventionen wie Plakat- und Aufkleberkampagnen, Muralismus, Culture Jamming, Werbeparodien, kreativ umgestalteten Plakatwänden, Medien-Hacks und Mobilisierungen von Communities in großem Stil. Street-Art-Aktivisten kämpfen in Zeiten von Rebellion, Revolution und Konflikten mit ihren Werken an vorderster Front gegen die Verbreitung von Propaganda und Lügen.

Graffiti Writing

Seit dem Altertum werden Namen an prominente Orte geschrieben, aber mit Erfindung der Sprühfarbe kam eine neue Bedeutung hinzu: Ende der 1960er-Jahre begannen Jugendliche in Philadelphia und New York ihre Pseudonyme mit Filzstift und Sprühdose möglichst weit zu verbreiten. Aus diesen „Tags“ entstand 1972 auf den New Yorker U-Bahnzügen das „Masterpiece“ – umrandete Buchstaben, die Namen groß in Szene setzten. Der ansteckende Drang, den eigenen Namen überall in der Stadt zu verbreiten – „All City“ zu sein – und in immer größeren und immer farbenprächtigeren „Styles“ anzubringen, führte zu einer kreativen Explosion. Diese von Jugendlichen angestoßene Bewegung bot ein positives Gegenbild zum anonymen New Yorker Großstadtdschungel, der in Drogenkriminalität und Gewalt zu versinken drohte.

Filme und Bücher wie Wild Style und Subway Art brachten Graffiti Writing Anfang der 1980er-Jahre nach Europa. Immer mehr Züge und Wände wurden bemalt und die Künstler immer professioneller. Heute gibt es überall auf der Welt Graffiti Writer, von Bogotá bis Martinique, von Berlin bis Medellín. Die größte Kunstbewegung der Geschichte hat die verschiedensten Kunststile, Motive und Techniken in immer spektakulärere Bilder integriert. Buchstaben und der Name des Künstlers sind aber bis heute im Mittelpunkt geblieben.

Muralismus

Mit dem Wandel von der Staatspropaganda zur Populärkultur hat die Wandmalerei eine wechselvolle Geschichte erfahren. Durch ihre schiere Monumentalität und Imposanz im öffentlichen Raum ist sie ein mächtiges Kommunikationsmedium, mit dem der Bevölkerung schon lange soziale und politische Nachrichten übermittelt werden. Seit dem Aufkommen von Graffiti und Street Art haben sich neue Formen entwickelt: Illegale Street-Art-Murals finden sich an besonders auffälligen Stellen ebenso wie in verlassenen Gebäuden, und den Künstlern bleibt meist nicht viel Zeit, um mit Pinsel, Sprühdose, Roller und Schablone ihr Handwerk auszuführen.

Mit zunehmender Akzeptanz der Street-Art-Ästhetik werden so viele Urban-Art-Murals in Auftrag gegeben wie nie zuvor. Streng genommen handelt es sich gar nicht um Street Art, sondern um eine neue Form der Kunst im öffentlichen Raum. Nicht nur Street-Art-Künstler arbeiten an Auftragsprojekten, sondern auch jene, die nie illegal tätig waren. Bei Festivals, Urban-Art-Ausstellungen, Stadtsanierungsprojekten oder bei der Markenbildung großer Unternehmen gestalten sie weltweit aufwendige, großformatige Murals. Ob Auftragsarbeit oder nicht, urbane Folklore erlebt ein Comeback.

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Bogotá hat eine der aktivsten Street Art-Szenen weltweit  - Hier zu sehen: eine riesige Wand entlang der Calle 26

Anamorphe Kunst / Illusion Art

Anamorphe Kunst ist eine Form der optischen Täuschung. Sie bezeichnet ein Werk, das verzerrt oder in Fragmente zerlegt ist und nur aus einem bestimmten Blickwinkel, in einem Spiegel oder durch eine Linse als zusammenhängendes Ganzes oder normales Bild erscheint. Maler der Renaissance wendeten die Methoden der Anamorphose bei Deckenfresken an, damit sie vom Boden aus erkennbar waren, und gelegentlich, um geheime Darstellungen in ihren Bildern zu verbergen. Auch in der Urban Art setzen Künstler anamorphe Techniken auf vielfältige Art bei Wandgemälden und in der Straßenmalerei ein. Der Street-Art-Künstler eL Seed malte kalligrafische Fragmente auf nahezu fünfzig Gebäude eines Viertels in Kairo. Die vollständige Botschaft seines anamorphen Murals erschließt sich nur durch die Betrachtung von einem nahegelegenen Berg.

Die Adaption der Anamorphose für die Straßenmalerei wird Kurt Wenner zugeschrieben. Nachdem er die Techniken der Renaissance-Meister studiert hatte, entwickelte er eine neue Form der perspektivischen Geometrie, um den Verzerrungen entgegenzuwirken, die normalerweise entstehen, wenn ein großformatiges Werk von der Seite betrachtet wird. Seine Kompositionen scheinen sich mit einer dreidimensionalen Klarheit aus dem Bürgersteig zu erheben oder in ihm zu versinken. Ähnliche Techniken verwenden auch Urban-Art-Künstler in ihren Arbeiten. Leon Keer ist sogar noch einen Schritt weitergegangen: Er kreiert Werke, die aus drei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden können – jeder enthüllt eine andere dreidimensionale Täuschung innerhalb desselben Bildes.

Hier erfahrt ihr mehr über die Ausstellung "Magic City - Die Kunst der Straße"